Die Städtebauliche Entwicklung der Stadt Moers im 20. Jahrhundert -2. Teil-

Thorsten Kamp

1918-1933

Wie bereits vor 1914, so war die Heimatschutzbewegung auch nach dem Ersten Weltkrieg im Rheinland weiterhin sehr aktiv. Insbesondere die Moerser Verlage August Steiger und Gerhard Pannen veröffentlichten eine ganze Reihe von Büchern zur niederrheinischen und Moerser Heimatkunde, Kunst- und Stadtgeschichte (z.B. Hermann Boschheidgen, „Die oranische und vororanische Befestigung von Mörs“, 1917; Gottfried Krach, „Min Modersprok“, 1921).

Der Moerser Buchhändler Wilhelm Steiger, der seit vielen Jahren mit dem „Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz“ eng verbunden war, wurde vom damaligen Regierungspräsidenten zur Nedden (zugleich Vorsitzender dieser Vereinigung) bei der Veröffentlichung von heimatkundlichen Büchern ebenso unterstützt wie vom Provinzialkonservator Prof. Dr. Renard. Darüber hinaus war er mit Prof. Klapheck, dem Geschäftsführer des Vereins befreundet. Als Folge dieser Verbindungen und aufgrund seines persönlichen Interesses an Heimatkunde verlegte Steiger u.a. die vom Verein herausgegebenen und vom Provinzialkonservator geförderten „Heimatbilder“, deren Signet den Moerser Mattorn zeigte. Großen Anklang fand besonders die 1910 erschienene, erste Folge dieser als Bildermappen angelegten Reihe. Unter dem Titel „Aus einer niederrheinischen Kleinstadt“ zeigte sie malerische Winkel der Moerser Altstadt, meisterhaft gezeichnet von Gustav Olms.

Mit dem Heft „Niederrhein und Bergisches Land“, das 1920 in zweiter Auflage erschien, knüpfte Steiger an seine Zusammenarbeit mit dem „Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz“ aus der Zeit vor nach dem Ersten Weltkrieg an. Dieser „Wegweiser durch Natur, Kultur und Wirtschaftsleben unserer Heimat“ wurde illustriert mit Strichzeichnungen der Architekten Stahl und Metzendorf sowie der Künstler Möhler und Olms. Gustav Olms, der laut Verleger Steiger „in Not und Elend, verlassen und verkannt“ Ende der 1920er Jahre verstarb, schien die Stadt Moers als Motiv besonders ans Herz gewachsen gewesen zu sein: In dem 1930 erschienenen „Niederrheinischen Sagenbuch“, seinem letzten Werk als Illustrator, findet sich eine Straßenansicht aus einem fiktiven niederrheinischen Städtchen, die unschwer als der heutige „Klompenwenkel“ zu erkennen ist (vgl. S. 26).

Nicht nur in der heimatkundlichen Forschung, auch in Architektur und Städtebau hatten die Vorstellungen des Heimatschutzes in Moers und Umgebung Eingang gefunden und waren gewissermaßen zum Allgemeingut geworden. So findet die heimatschützerische Arbeit der 1912 eingerichteten Bauberatungsstelle des Kreisbauamtes lobende Erwähnung in der Festschrift des Landkreises Moers von 1926. Auch sind in dem Mitte der 20er Jahre erschienenen Heft „Neuzeitliche Architektur im Kreise Mörs“ eine ganze Reihe von Bauten in regionaltypischer Backsteinarchitektur veröffentlicht worden, z. B. die traditionalistischen Entwürfe der Moerser Architekten Wieth und Bernhardt für den Ortskern von Repelen. Deutlich inspiriert von traditionellen niederrheinischen/niederländischen Bauformen zeigte sich in den 1920er Jahren vor allem der Wohnungsbau der Bergwerksunternehmen und gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften des Landkreises.

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstanden neben der regionalistischen Backsteinarchitektur in Moers auch eine größere Anzahl von Wohnhausgruppen und Einzelgebäuden, die im Stil des Art-Deco typisch expressionistische Bauornamente aufwiesen. Durch die Verwendung von geometrischen, meist spitz zulaufenden Dreiecksformen, verschlungenen Rankengliederungen und Skulpturen wurden vor allem die Gesimse, Türlaibungen und Fensterstürze der Häuser auffällig gestaltet. Durchgehende Gebäudeensembles mit diesen Details finden sich auf der Asberger Straße und der Annastraße, einzelne Gebäude auf der Mercatorstraße und der Nordseite der Tersteegenstraße sowie im Stadtkern. Hier verdienen insbesondere die originellen Bauplastiken des Hauses Neustraße 20 Beachtung sowie das ehemalige Hotel „Moerser Hof“ am Beginn der Steinstraße, in dessen expressivem Fassadenschmuck sich auch eine Miniaturansicht des Mattorns finden lässt. Die Fassaden der beiden einzigen großen öffentlichen Bauprojekte dieser durch Ruhrbesetzung (1918-26) und Weltwirtschaftskrise (ab 1929) geprägten Zeit, nämlich das jüngst abgerissene alte Finanzamt an der Unterwallstraße und das damalige Knappschaftsgebäude auf der Homberger Straße zeigten ebenso als Dekor expressionistische Bauornamente.

Ansonsten änderte sich wenig am Aussehen und Grundriss der Innenstadt, da sich die Stadtentwicklung der 1920er Jahre weiterhin im Wesentlichen auf Wohnungsbauprojekte im östlichen Stadterweiterungsgebiet konzentriert hatte. Hier ist insbesondere die Bautätigkeit der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften erwähnenswert, die nach 1918 stetig zunahm. Während im wilhelminischen Kaiserreich die Kopplung von Arbeits- und Wohnverhältnissen ein Druckmittel für die Beschäftigten bedeutete, wurde diese Bindung in der Weimarer Republik teilweise aufgehoben. Die Wohnungsbautätigkeit übernahmen gemeinnützige staatliche oder genossenschaftliche Institutionen, wie z.B. der 1904 gegründete Moerser Bauverein und vor allem die THS, die im Februar 1920 im Hinblick auf die geplante Anwerbung von 150.000 Bergleuten als „Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten im rheinisch-westfälischen Steinkohlebezirk“ gegründet wurde. Bergbaukommunen und -unternehmen beteiligten sich finanziell am Wohnungsbau der in Essen ansässigen Treuhandstelle, die sich regional in verschiedene Niederlassungen aufteilte. Im Kreis Moers war es die THS-Tochter „Bergmannssiedlung Linker Niederrhein“, die in den Gemeinden Homberg, Kamp-Lintfort, Moers, Neukirchen-Vluyn, Rheinhausen und Repelen-Baerl eine große Anzahl neuer Arbeiterwohnungen für die dort ansässigen Bergwerksunternehmen errichtete.

Das erste große Bauprojekt der Moerser THS-Tochter war die ca. 250 Wohnungen umfassende Bergarbeitersiedlung zwischen Königsberger und Homberger Straße in Moers-Hochstraß, die von 1921 bis 1925 errichtet wurde. Dazu wurde eigens ein Wettbewerb ausgeschrieben, den der außerhalb der Konkurrenz teilnehmende Paul Schmitthenner für sich entschied. Schmitthenner, der als Professor an der Technischen Hochschule in Stuttgart traditionelle Bauformen zeitgenössisch weiter entwickelte und mit der so genannten „Stuttgarter Schule“ die Bauauffassung einer ganzen Architektengeneration prägte, verlieh dem Kern der Siedlung mit zweigeschossigen durchgehenden Reihenhäusern, die sich an der heutigen Peter-Zimmer-Straße zu einer Art Marktplatz aufweiten, einen streng geschlossenen, dörflich überschaubaren Charakter. An der Homberger Straße markierten zwei quer stehende Häuser mit Arkaden den westlichen Eingang zur Siedlung. Solche Art Stadttormotive gab es bereits in Schmitthenners berühmter Gartenstadt Staaken, die als Vorbild für die Siedlung Hochstraß gelten kann. Beide Siedlungen besitzen eine zentrale Platzanlage sowie eine dichte Straßenrandbebauung ohne Vorgärten, was den Straßendorfcharakter unterstützen sollte. Die Architektur in Staaken und Hochstraß folgte holländischen Mustern, was sich an der überwiegenden Verwendung des Baumaterials Backstein zeigt, der als Gestaltungselement vielfältig eingesetzt wurde. Als Ziegelbänder, als Eckbetonung oder im Fischgrätmuster verlegt, sorgte er auch in Hochstraß für plastische, lebendige Fassaden. Sprossenfenster, bunte Holztüren und Fensterläden schufen eine anheimelnde Atmosphäre, die leider heute so nicht mehr wahrzunehmen ist. Aufgrund individueller Veränderungen der Fassaden, Eingänge und Fenster blieb - trotz Denkmalschutz - von der ursprünglichen zusammenhängenden Bauform in weiten Teilen nur ein verzerrtes Bild übrig.

Offensichtlich war die Siedlung Hochstraß wiederum Vorbild für ein weiteres großes Bauprojekt der „Bergmannssiedlung Linker Niederrhein“: Bei der 1927-29 (1. Bauabschnitt) erbauten THS-Siedlung an der Kamper Straße in Repelen-Rheim erwies sich der leitende Architekt und Niederlassungsleiter Phillip Charbon als ein Adept Schmitthenners, der dessen Architektursprache in vielen Details geradezu kopierte. So kamen niederländische Architekturmotive mit einem Umweg über das Holländische Viertel in Potsdam an den Niederrhein zurück.

Die unterschiedlichen Siedlungskonzepte der THS-Siedlungen in Hochstraß (vor allem Einfamilienhäuser) und Repelen-Rheim (Mehrfamilienhäuser) veranschaulichen sehr gut den Wechsel im Arbeiterwohnungsbau Mitte der 1920er Jahre. Während in städtebaulicher und architektonischer Beziehung anfangs noch die Gartenstadt mit ihrer gegliederten Einzel- und Reihenhausbebauung als Ideal galt, führten geänderte planerische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen ab 1926 zu neuen Wohnformen. Das Angebot an städtischen Versorgungseinrichtungen machte Nutzgärten zur Selbstversorgung nicht mehr zu einer unverzichtbaren Beigabe der Arbeitersiedlungen. Wirtschaftlichkeitsüberlegungen der Wohnungsunternehmen führten dazu, dass zunehmend mehrgeschossige Mietshäuser als Block- oder Reihenbebauung entstanden, weitgehend unter Beibehaltung der traditionalistischen Gestaltungsnormen des Heimatschutzes (Bsp. „Neue Kolonie“ der Sachtanlage Niederberg in Neukirchen-Vluyn, 1926-30).

Mit dem Gebäudekomplex „Tubiskuhle“ an der Kreuzung Essenberger / Xantener Straße entwarf das Moerser Stadtbauamt 1926 ebenfalls eine Wohnanlage mit einer abwechslungsreich gegliederten, regionaltypischen Backsteinfassade, die sich zudem durch figürliche Stuckdekorationen im Stil eines gemäßigten Expressionismus auszeichnet. Mit ihrer treppengiebelverzierten Backsteinarchitektur folgten auch die 1927 erbauten Mehrfamilienhäuser des Moerser Bauvereins u.a. an der Dr.-Karl-Hirschberg-Straße dem Heimatschutzgedanken.

Neben den idealistischen Reformbestrebungen nach einem gesunden, naturnahen und heimatverbundenen Leben ließ sich allerdings schon früh sowohl in der Gartenstadt- als auch in der Heimatschutzbewegung eine völkische Radikalisierung erkennen. Dies gilt insbesondere für Paul Schultze-Naumburg, dem herausragenden Protagonisten des Deutschen Bundes Heimatschutz, der mit der Veröffentlichung zahlreicher Publikationen versuchte, den „Entstellungen unseres Landes“ auf (bau)künstlerischem Gebiet entgegenzutreten. Schultze-Naumburg entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg immer mehr vom konservativen Lebensreformer zum völkischen Rassisten. 1928 veröffentlichte er das Buch „Kunst und Rasse“, das als eine Grundlage der späteren NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ anzusehen ist. Schultze-Naumburg, der 1930 der NSDAP beitrat, verbreitete seine nationalsozialistische Baugesinnung u.a. auf Vortragsveranstaltungen, so auch Ende November 1932 vor geladenen Gästen des BDA-Bezirks Essen/Bochum. Im Publikum befand sich der damals 37-jährige Architekt Ferdinand Revermann, der bis dahin in Wanne-Eikel und Bochum mit einigen Bauwerken im Stil der Moderne und des Backstein-Expressionismus aufgefallen war. Im Anschluss an den Propagandavortrag Schultze-Naumburgs trat Revermann in die NSDAP ein, für die Aufnahmeformulare auf der Veranstaltung ausgelegt worden waren. Dies war für ihn der Beginn einer nationalsozialistischen Architektenkarriere, die ihn sechs Jahre später zum Stadtbaurat von Moers und einflussreichsten Stadtplaner im Landkreis machen sollte. Auch Regierungsbaumeister Charbon, als Geschäftsführer der „Bergmannssiedlung Linker Niederrhein“ einer der wichtigsten Akteure im Wohnungsbau des Kreises, wurde später NSDAP-Aktivist. Bereits 1926 schrieb er über die idyllisch wirkenden Arbeitersiedlungen im Kreis Moers: „Bodenständigkeit und Heimattreue des Wohnungsinhabers werden solche planmäßige Arbeit krönen.“ Hier klingt schon die ideologische Zielsetzung nationalsozialistischer Siedlungstätigkeit an, nämlich die „Verwurzelung“ des Siedlers mit seinem „Heimatboden“ zu stärken. 1928 erklärt Charbon als Ziel der THS-Siedlungstätigkeit „dem Bergmann in den ... neu geschaffenen Wohnungen bei seiner schweren Berufsbürde die Liebe zur heimatlichen Scholle zu wecken, die Bodenständigkeit zu stärken und ihn somit als freudigen Mitträger gemeinsamen Wiederaufbaus der engeren Heimat und unseres bedrängten Vaterlandes bereit zu finden.“ Diese fünf Jahre vor der „Machtergreifung“ getroffene Aussage, die die „Blut und Boden“-Ideologie der Nazis vorweg nimmt, zeigt, dass die Nationalsozialisten auch im Bereich des Siedlungswesens auf vorhandene völkisch-konservative Vorstellungen und Leitbilder zurückgreifen konnten - das Fundament für das nationalsozialistische Baugeschehen wurde also bereits in der Weimarer Republik gelegt.

„Architektur und Stadtplanung unterm Hakenkreuz“ 1933-1945

Um ihre architektonisch-städtebaulichen Leitbilder und Ziele umzusetzen, erließen die Nationalsozialisten nach 1933 eine Reihe von Gesetzen und juristischen Regelungen, mit denen sie - wie in allen Bereichen der Berufsausübung und der Kunst - Aufsicht und Zensur ausüben konnten. Für Architekten bestand demnach die Zwangsmitgliedschaft in der „Reichskammer der bildenden Künste“. Nur wer „arischer Abstammung“ und nicht durch „kulturbolschewistische“ Arbeiten stigmatisiert war, wurde in die Kammer aufgenommen und durfte die seitdem geschützte Berufsbezeichnung „Architekt“ verwenden; Nichtmitglieder hatten dagegen absolutes Berufsverbot. Berufs- und Interessenverbände wie der Bund Deutscher Architekten (BDA), der Deutsche Werkbund oder der Bund Heimatschutz wurden aufgelöst bzw. gleichgeschaltet. Den NS-Machthabern war die Beeinflussung des Menschen durch die gebaute Umwelt sehr wohl bewusst. Als öffentlichste aller Künste sollte die Architektur in ihrer allgegenwärtigen Präsenz bis in den letzten Winkel des Reiches hinein die Botschaft des Nationalsozialismus verkünden und der permanenten Machtdemonstration dienen (siehe „Moers unterm Hakenkreuz“, 2008, S. 82ff).

Auch wenn heute die wenigen Monumentalbauten der NS-Zeit das Bild vom Bauen im „Dritten Reich“ bestimmen, wurden doch die meisten Bauvorhaben in „bodenständiger Bauweise“ ausgeführt - ein später und zweifelhafter Erfolg der Heimatschutzbewegung und der „Stuttgarter Schule“, deren Ideen von den Nationalsozialisten aufgegriffen und instrumentalisiert wurden. Verbindliche Grundlage für die konservativen Bauformen im Nationalsozialismus war die „Baugestaltungsverordnung“ von 1936: Diese Vorschrift schrieb für alle Neubauten eine „anständige Baugesinnung“, „werkgerechte Durchbildung“ und die „einwandfreie Einfügung in die Umgebung“ vor. Ebenso verpflichtete das Architektengesetz von 1934 die Architekten, „die weitere Verschandelung deutschen Landes und deutscher Städte durch Bauwerke, die in keiner Weise deutscher Baugesinnung und dem Verantwortungsgefühl für gemeinsame Arbeit Rechnung tragen“, zu vermeiden. Die Definition dessen, was „deutsche Baugesinnung“ eigentlich sei, gaben die zuständigen NS-Organisationen und die durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1934 von allen „störenden Elementen“ gesäuberte Bauverwaltung vor. Ein regimetreuer, mit enormen Machtbefugnissen ausgestatteter Verwaltungsapparat steuerte das Baugeschehen zunehmend dirigistisch. Im Kreis Moers fielen spätestens seit 1938 bei „Gebäudeprojektierungen, die für die Allgemeinheit von Interesse“ waren die Entscheidungen zentral beim Präsidenten des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk (SVR) in der „Gauhauptstadt“ Essen.

NS-Stadtplanung in Moers

Die Nationalsozialisten versuchten allmählich auch der Kreisstadt Moers ihren baulichen Stempel aufzuprägen. Bauprojekte sollten vornehmlich die NS-Herrschaft festigen und der Propaganda dienen. So waren vor allem der Bau und Bezug von Kleinsiedlungen ein beliebtes Pressethema. Die Einweihung fand stets unter Teilnahme von Parteivertretern statt, die die Gelegenheit zur Selbstdarstellung nicht ungenutzt ließen. Auf dem Richtfest der ersten nationalsozialistischen Heimstättensiedlung in Moers, die 1938 an der Eichenstraße für „erbgesunde“ kinderreiche Familien errichtet wurde, gab der damalige städtische Beigeordnete und spätere Moerser Bürgermeister Peter Linden bekannt, dass die Stadtverwaltung eigens ein Siedlungsamt eingerichtet habe, um mitzuhelfen „gesunde 

Wohnungen für gesunde Familien zu schaffen.“ Er wies in seiner Rede „auf die nationalsozialistische Auffassung von Blut und Boden als Ewigkeitsbegriff hin und betonte, daß auch hier in der Siedlung Scherpenberg jeder Siedler aufs engste mit Scholle und Boden vertraut gemacht werde“ (Der Grafschafter, 27.6.38). Danach hieß der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Hochstraß-Scherpenberg „die Siedler in seinem Ortsgruppenbereich willkommen und forderte sie auf, vor allem dem Führer Adolf Hitler zu danken, denn er sei es doch letzthin, dem man alles verdanke, was man besitze. ... [Zudem] gab Ortsgruppenleiter Pg. Hegels bekannt, dass die neue Siedlung nach ihrer Fertigstellung den Namen „Zelle Stadtrandsiedlung“ bekommen und so zu einem festen nationalsozialistischen Bollwerk gestaltet werde“ (National-Zeitung, 27.6.38).

Nach dem - durch die Weltwirtschaftskrise verursachten - Stillstand am Ende der Weimarer Republik rückte nun der Stadtkern wieder in den Focus der Stadtplaner. Die Stadtentwicklungsthemen, die Moers in den 1930er Jahren bewegten, sind einem auch heute geläufig: „Der Königliche Hof wird schöner … und wirtschaftlicher“, „Ein Parkplatz im Zuge des Stadtgrabens geplant“, „Noch einmal: Parkplatz gesucht“ so die Schlagzeilen der Zeitungsartikel um 1938. Im selben Jahr wurde auch die Stelle eines städtischen Baurats ausgeschrieben, nachdem der ehemalige Moerser Stadtbaumeister Bruno Rothe bereits im Mai 1934 - nach fast 30 Jahren Dienst bei der Stadtverwaltung - aus seinem Amt entfernt worden war. 

Die neue Stelle wurde mit Ferdinand Revermann besetzt, einem Architekten ohne Diplom und abgeschlossenes Studium, der die jeweils aktuellen Zeitströmungen in seinen Bauten geschickt aufzunehmen verstand. Schon seit 1932 Mitglied der NSDAP, wurde er bereits im April 1933 in seiner Heimatstadt Essen „NSDAP-Kreisamtsleiter für das Siedlungswesen“ und im September desselben Jahres alleiniger Geschäftsführer der „Bergmannssiedlung Essen GmbH“, einem weiteren Tochterunternehmen der THS. Durch seine Tätigkeit bei der Essener NSDAP-Kreisleitung war er Teil eines Parteigenossen-Netzwerks geworden, das ihn bei der weiteren Karriereplanung tatkräftig unterstützte: Bei seiner Bewerbung in Moers 1938 setzte sich z.B. Duisburgs NS-Oberbürgermeister Hermann Freytag massiv beim Verbandspräsidenten für Revermann ein, der aufgrund seiner unzureichenden Ausbildung eigentlich nicht dem Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle entsprach. Laut Freytag, der bis 1937 NSDAP-Kreisleiter von Essen war und sowohl mit Revermann als auch mit dem Moerser NS-Bürgermeister Friedrich Grüttgen befreundet gewesen ist, sollte Revermann „für die Stelle unbedingt empfohlen werden. … Revermann ist überzeugter Nationalsozialist, arbeitsfreudig, von ehrenwertem Charakter, umgänglich und korrekt.“ Neben Freytag führte Revermann als weiteren parteiinternen Fürsprecher seinen THS-Kollegen, den Geschäftsführer der Moerser „Bergmannssiedlung Linker Niederrhein“, Philip Charbon an, der ihm eine „einwandfreie nationalsozialistische Gesinnung“ bescheinigte. Dank Freytags persönlicher Intervention beim Präsidenten des Ruhrsiedlungsverbandes wurden von dessen Seite keine Einwände mehr gegen die Besetzung erhoben und Revermann am 16. Juni 1938 als städtischer Baurat auf den „Führer“ vereidigt.

Revermanns erste Aufgaben bei der Stadt Moers waren aufgrund der fortschreitenden Baubeschränkungen durch die Kriegsvorbereitungen eher bescheiden. Zu den wenigen Projekten, die er ausführen konnte, gehörten die Erweiterung des Naturfreibades „Bettenkamper Meer“ und die Umgestaltung des verwahrlosten alten Friedhofs an der Rheinberger Straße zur innerstädtischen Grünanlage. Des Weiteren bemühte er sich um die Verbesserung des Stadtbildes. So wurde nach einer Idee Revermanns und des Museumsleiters Dr. Kurt Middelhoff die Giebelseite des historischen Rathauses neben der ev. Stadtkirche, als „steinernes Dokument mittelalterlicher Baukunst“ mit einem großformatigen Freskengemälde geschmückt.

Das einzige in Moers durchgeführte größere Bauvorhaben Revermanns war die so genannte Treibstoffsiedlung an der Homberger Straße, die der Bauverein Moers, zu dessen Vorstand Revermann gehörte, 1939/40 errichtet hatte. Die von ihm in heimatlichem Dekor entworfenen und mit finanzieller Unterstützung des Bergwerks Rheinpreußen gebauten Geschosswohnungen waren ausschließlich für Arbeiter des kriegswichtigen Meerbecker Treibstoffwerks bestimmt und entsprachen in ihrer aufgelockerten Anordnung den neuen „Richtlinien für den baulichen Luftschutz im Städtebau“ von 1938 (Neufassung 1942). Durch weit auseinander stehende Baukörper, die durch Nutzgärten und Grünflächen räumlich von einander getrennt wurden, sollte die „Verdämmungswirkung von Sprengbomben“ so gering wie möglich gehalten werden.

Der Generalbebauungsplan Moers 1938-42

Durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden alle weiteren Bauprojekte ausgesetzt, so dass sich Revermann drei Jahre lang seinen realitätsfernen Um- und Ausbauplanungen des Moerser Stadtgebietes widmen konnte, die nach dem erwarteten „Endsieg“ verwirklicht werden sollten. Der von Revermann erarbeitete Generalbebauungsplan war ein umfangreiches Werk, das aus 55 Einzelplänen bestand und sich mit den verschiedensten Aspekten der Stadtplanung beschäftigte. Die Spannbreite der Arbeit reichte von Untersuchungen zur regionalen Verflechtung bis zum einzelnen Baublock mit exemplarischen Wohnungsgrundrissen. Moers sollte den Plänen nach eine durchgrünte, in abgegrenzte Nachbarschaften gegliederte Stadtgestalt erhalten. Im Ganzen vermittelte die im Generalbebauungsplan abgebildete Stadt das Bild der propagierten „organisch“ aufgebauten, ständischen Gesellschaftsordnung, in der für alle „Volksgenossen“ gesorgt ist. Es finden sich dort landwirtschaftliche Flächen für den „Reichsnährstand“, Kleingewerbegebiete für Handwerker, Volkswohnungen und Kleinsiedlungen für die „Gefolgschaften“ der Industriebetriebe sowie aufgelockerte bürgerliche Wohnquartiere für Beamte und Angestellte - das Ganze in einer aufgelockerten Bebauung, die mit großzügig zugeschnittenen Gärten, Grünzügen und Sportanlagen den Forderungen nach Selbstversorgung und Stärkung der Volksgesundheit entsprach. Repräsentativ-städtische Bauformen waren in der Moerser Innenstadt an den Kreuzungsbereichen der Hauptstraßen vorgesehen.

Der Moerser Stadtkern sollte der Bedeutung einer Stadt von 30.000 Einwohnern entsprechend ausgebaut und dabei Platz für Aufmärsche, neue Dienstgebäude und den zunehmenden Autoverkehr geschaffen werden - allerdings unter weitgehender Bewahrung des vorhandenen Kleinstadtidylls. Die Planungen sahen daher einerseits den Erhalt der stadtbildprägenden Wallanlagen und weiter Bereiche der Altstadt vor, anderseits sollte ein Teil der historischen Bausubstanz abgerissen werden, um besondere Bauwerke, wie das historische Rathaus und die ev. Kirche freizustellen und um vor jedem öffentlichen Gebäude einen eigenen Appellplatz anzulegen. So sollte vor dem Landratsamt eine große Aufmarschfläche samt „Autopark“ entstehen, wozu die Kastellbebauung samt „Bügeleisen“ abgerissen worden wäre. Daran anschließend war ein weiterer Platz geplant, der von den Baukörpern der kath. Kirche, eines geplanten Wehrmeldeamtes und eines Rathausneubaus eingefasst werden sollte. Den Übergang zum Schlosspark hätte ein Rathausturm - wohlmöglich als Ersatz des Mattorns - in der Sichtachse der Hanckwitzstraße markiert.

Als zentraler Aufmarschplatz der Moerser Altstadt und Parteiforum des Landkreises wurde der Neumarkt - damals Hindenburgplatz - auserkoren. Seine Fläche wäre den Plänen nach rasterförmig gepflastert worden, was bei Aufmärschen und Paraden der gleichmäßigen Ausrichtung der angetretenen Verbände in „Reih und Glied“ gedient hätte. Die nördliche Hälfte sollte zum „Platz der Bewegung NSDAP“ erhoben werden, den man von der Neustraße - damals Adolf-Hitler-Straße - aus nur über eine ansteigende breite Treppenanlage hätte betreten können. In der zentralen Blickachse des Platzes sollte ein nationalsozialistisches Ehrenmal für die „Opfer der Bewegung“ Aufstellung finden, während die vorhandenen preußischen Denkmäler entfernt worden wären. Als baulichen Rahmen für diesen Teil des Neumarktes sah Revermann Kolonnadenreihen an beiden Platzseiten vor, was der Randbebauung eine soldatisch-strenge, einheitliche Erscheinung gegeben hätte. Den räumlichen Abschluss der damals unbebauten Nordseite hätten Repräsentationsgebäude der Partei gebildet. Als Blickfang sollte eine herrschaftliche „Ehrenhalle“ dienen, die über eine weitere ansteigende Treppe zu betreten gewesen wäre. An die Ehrenhalle hätten sich Büros der NSDAP-Kreisleitung sowie eine große Fest- und Versammlungshalle angeschlossen.

Der Kontrast von historischer Kleinstadtbebauung und imposanter neuer Herrschaftsarchitektur sollte zur psychologischen Beeinflussung des Betrachters bewusst eingesetzt werden. So wurde im Zuge der Rathausrenovierung das Ziel der Umbauarbeiten am Neumarkt bekannt gegeben: „Der Hindenburgplatz als Aufmarschplatz der Bewegung, das alte Rathaus als ein überkommenes Erbe der Vergangenheit und das Grün des Kirchvorplatzes werden im Mittelpunkt der Kreisstadt ein Ortsbild schaffen, das den Einheimischen stolzer werden läßt auf seine Heimatstadt, dem auswärtigen Besucher aber als Ausdruckskraft einer neuen Zeit erscheint“ (National-Zeitung, 6.8.39). 

Im Ganzen entsprach der Generalbebauungsplan für Moers den Forderungen des NS-Städtebautheoretikers Gottfried Feder, nach denen eine Stadt wie ein Organismus aufgebaut sein sollte, mit einer Stadtmitte als „Hauptkern“ umgeben von verschiedenen „Unterkernen“, die sich wiederum aus einzelnen „Zellen“ zusammensetzen. Eine nach diesen Gesichtspunkten gebaute nationalsozialistische Ideal-Stadt hätte die Organisation der hierarchisch aufgebauten NSDAP mit ihren Untereinheiten (Zelle, Block, Ortsgruppe, Kreis) baulich abgebildet. Vom ländlichen Kleinsiedlungshaus auf der „eigenen Scholle“ am Stadtrand bis hin zum monumentalen innerstädtischen Parteiforum, sollte so die Hierarchie von Führung und Geführten ablesbar sein.

Die Arbeiten am Generalbebauungsplan wurden im September 1941 unterbrochen und 1942 endgültig eingestellt, als Baurat Revermann für die Organisation Todt „zum Ausbau des deutschen Ostraums“ nach Kulm im annektierten Gau Danzig-Westpreußen abgeordnet wurde. Am 04. März 1945 endete die NS-Herrschaft in Moers, als die Stadt von Einheiten der 9. US-Armee eingenommen wurde. Am Ende desselben Jahres erhielt sie eine gemeindliche Selbstverwaltung nach britischem Vorbild.

Die 50er Jahre - „Wirtschaftswunder“ und Wiederaufbau

Nach der Währungsunion (1948) und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (1949) schufen die Wiederaufbauhilfen der US-Regierung den Boden für eine Re-Industrialisierung, mit der eine erste Konjunktur („Wirtschaftswunder“) einherging. Damit die kriegszerstörten Städte ihre verschiedenen Funktionen wieder wahrnehmen konnten, musste ihr Wiederaufbau zügig durchgeführt werden, wobei sich gegensätzliche Richtungen städtebaulicher Planung ergaben: Auf der einen Seite Planer und Politiker, die durch Rekonstruktion zerstörter und Erhaltung intakter Bausubstanz die alte Stadtgestalt bewahren bzw. wiederherstellen wollten (z.B. Münster, Nürnberg), während die andere Gruppe die Zerstörungen des Krieges als Chance für einen Umbau der Städte unter den Prämissen der Funktionalität und profitabelsten Nutzung sahen (z.B. Dortmund, Wesel).

In der Praxis bedeutete die „Neuordnung“ der Städte ihre Auflockerung und eine deutliche Zunahme an Verkehrsflächen. Dabei griffen die verantwortlichen Stadtplaner und Architekten, die häufig schon während des Krieges mit Wiederaufbauplanungen betraut worden waren, zum Teil auf Entwürfe aus der NS-Zeit zurück, die nur geringfügig überarbeitet wurden. Die Fachleute, die im Nationalsozialismus planend und bauend tätig gewesen waren, konnten ihr Wissen und die zuvor entwickelten Ideen eines aufgelockerten Städtebaus und normierten Wohnungsbaus umstandslos wieder einsetzen. Sie brachten auch die Fähigkeiten zu „großen Lösungen“ mit, zu denen sie im „Tausendjährigen Reich“ ausgebildet worden waren und die sich vor allem durch großmaßstäbliche Architektur und breite Straßendurchbrüche auszeichneten. Die Leitbilder der 1940er und 50er Jahre wie die „gegliederte, aufgelockerte Stadt“ oder die „Stadtlandschaft“ waren sowohl Ausdruck der Fortschreibung „luftschutzgerechter“ Bauweisen als auch einer sozial wie politisch ambitionierten Erneuerung der alten Stadtstrukturen.

Mit dem Bau neuer Wohnviertel nach dem Konzept der „organischen Stadtbaukunst“ begann in der Nachkriegszeit die Phase der Raumauflösung. Es entstanden zumeist nach demselben Schema lange Zeilenbauten mit Satteldach, dazwischen glatte Rasen-Flächen, die höchstens durch Teppichklopfstangen gegliedert wurden. Folgen des Baubooms der Wiederaufbauzeit waren eine extreme Zersiedlung der Landschaft durch „Einfamilienhausweiden“ und der Ausbau innerstädtischer Straßen.

1957 markierte die Internationale Bauausstellung Berlin mit den Punkt- und Scheibenhochhäusern des Hansaviertels das angestrebte Bild einer modernen, rationalen Stadt, in der die unterschiedlichen Funktionen wie Wohnen und Arbeiten räumlich weit von einander getrennt werden sollten.

1945-1960 -

Die Nachkriegsplanungen unter Stadtbaurat Heinrich Hauschild

Ferdinand Revermann, Stadtbaurat und technischer Beigeordneter der Stadt Moers sowie Vertreter im Beirat des Ruhrsiedlungsverbands wurde im Juni 1945 von der britischen Militärregierung mit sofortiger Wirkung aus seinen Ämtern entlassen. Der Grund für dieses konsequente Vorgehen war der Zeitpunkt seines Eintritts in die NSDAP, der schon vor der Machtübernahme stattgefunden hatte. Er wurde 1948 im Entnazifizierungsverfahren zwar nur als so genannter „Mitläufer“ (Gruppe IV) eingestuft, doch hatte sein Antrag auf Wiedereinstellung in den Dienst der Stadt Moers keine Aussicht auf Erfolg, „da zweifellos die damalige Einstellung und Beförderung des R.[evermann] überwiegend aus politischen Rücksichten erfolgte“ und zwar „mit Empfehlungen aktiver und befreundeter Nationalsozialisten.“ Revermann, der sich 1948 darüber beklagte, dass bis auf ihn „sämtliche Beamte innerhalb der Stadtverwaltung und auch beim Landratsamt wieder in ihren Dienst eingewiesen worden [waren], soweit es sich um Gruppe IV … handelte“, bemühte sich in den nächsten Jahren unentwegt um eine Wiederverwendung zu der es aber nicht kam. Letztendlich wurde Revermann nach acht Jahren Nichtbeschäftigung mit Ablauf seiner Amtszeit 1953 in den endgültigen Ruhestand versetzt.

Die baulichen Geschicke der Stadt Moers bestimmte seit 1948 Baurat Heinrich Hauschild, der sich in den ersten Nachkriegsjahren vordringlich um die Errichtung neuer Wohnungen kümmern musste. Mit Unterstützung Hauschilds errichtete der Moerser Bauverein 1950-54 fast 300 neue Wohnungen an der Tannenbergstraße/Homberger Straße. So konnte die allgemeine Wohnungsnot, die durch den Zustrom von Flüchtlingen verschärft wurde, deutlich gelindert werden. Dazu kam noch der Wiederaufbau im von den Kriegszerstörungen besonders betroffen Stadtteil Meerbeck, wo die 1938/39 in unmittelbarer Nähe zu Bergwerk und Siedlung gebaute Kohleverflüssigungsanlage ein bevorzugtes Ziel der Bombenangriffe im Raum Moers abgab. Ansonsten war Moers mit einem Zerstörungsgrad von 15% im Vergleich zu anderen niederrheinischen Städten (Xanten, Wesel: 90%) von Kriegszerstörungen relativ verschont geblieben.

Mit dem Bergbau, der sich schnell vom Fördereinbruch am Kriegsende erholt hatte, besaß die Stadt eine wirtschaftliche Basis, die es ihr erlaubte, bereits zur 650 Jahrfeier 1951 den Grundstein für ein neues Rathausgebäude zu legen - just an der Stelle des Neumarkts, wo im Generalbebauungsplan ein repräsentativer Bau für die NSDAP-Kreisverwaltung vorgesehen war. Der Rathausbau war somit das erste innerstädtische Großprojekt des Bauamtes unter der Leitung von Heinrich Hauschild, der eigentlich einen modernen Rathausbau aus „den unserer Zeit gemäßen Baustoffen Beton, Stahl und Glas“ bauen wollte. Da er mit dieser Vorstellung bei den Moersern auf keine Gegenliebe stieß, entwarf er zusammen mit dem Weimarer Architekten Rainer Runge einen traditionellen Flügelbau mit konservativer Fassadengestaltung und Walmdach, zuerst noch ohne den heutigen Turmanbau. Laut Hauschild bestand der Rat aber darauf, dem Gebäude einen Rathausturm anzufügen, als Ersatz für den schmerzhaft vermissten „Mattorn“, der bis zu seinem Abbruch ebenfalls als Rathausturm genutzt worden war. In der Folge gab es einen Meinungsstreit um die Form des Turmdaches, wobei sich insbesondere der Moerser Verkehrsverein für eine getreue Kopie des barocken Mattorn-Turmhelms einsetzte. 1952 kam es schließlich zu einem „'Volksentscheid' über das Mattorn-Problem“ (Duisburger General Anzeiger, 13.3.52). Dazu wurde im Museumssaal des Moerser Schlosses für drei Tage ein Rathausmodell mit vier verschiedenen Turmhelm-Varianten der Bevölkerung zur Begutachtung vorgestellt. Zur Ausführung kam schließlich eine schlichte, sachliche Dachform, passend zum restlichen Rathaus, das 1953 in gemäßigt traditioneller Architektur fertig gestellt wurde. Auch andere öffentliche Gebäude, wie die Kreisberufschule an der Wilhelm-Schröder-Straße, das Kreisbauamt an der Uerdinger Straße oder die mittlerweile abgebrochene Kreissparkasse am Ostring, erinnerten in ihrer Erscheinung noch stark an die Architektur der Vorkriegsjahre.

Den Zukunftsideen des neuen Stadtbaurats, der von 1952-54 einen „Leitplan“ zur weiteren baulichen Entwicklung von Moers erarbeiten ließ, entsprach die konservative Bauauffassung des Moerser Stadtrates überhaupt nicht. Hauschilds städtebauliches und architektonisches Vorbild war die durch die deutsche Luftwaffe zerstörte und in modernen Formen wieder aufgebaute Stadt Rotterdam. Er vertrat die Ansicht, dass für die „überalterte und baufällige“ Moerser Altstadt „eine neuzeitliche, großzügige und weitschauende Planung, die die bestehenden Besitzverhältnisse grundlegend verändern würde“ notwendig sei. So ging bereits Mitte der 1950er Jahre die kurze und restaurative Phase des Wiederaufbaus nahtlos und zuerst noch zaghaft in eine lange Phase der Stadtsanierung über, in der intakte Gebäude zugunsten von leistungsfähigen Verkehrsstraßen und einer wirtschaftlicheren Grundstücksausnutzung abgerissen wurden. 

Als erstes fiel diesem Modernisierungsschub 1954 das alte Rathausgebäude aus dem späten 15. Jahrhundert - seit 1602 Sitz der Stadtverwaltung - zum Opfer. Anschließend wurde das benachbarte gründerzeitliche Wohn- und Geschäftshaus Meerstraße 6 (Blumenhandlung van der Zwaag) abgebrochen, da es den Vorplatz der ev. Kirche verstellte. Genau aus diesem Grund war bereits in der Ratssitzung vom 11. Februar 1941 unter Leitung des NS-Bürgermeisters Grüttgen beschlossen worden, eben dieses Gebäude aufzukaufen, um es nach einem „erfolgreichen Kriegsausgang“ niederzulegen. Der Abbruch, der schon im Generalbebauungsplan vorweggenommen wurde, erfolgte schließlich 1957, so dass der Ratsbeschluss von 1941 in der Stadtgeschichte von Moers „als erste Sanierungsmaßnahme … historische Bedeutung hat“ (WAZ, 10.5.78).

Die Wohngebiete, die in dieser Zeit außerhalb des Stadtkerns geschaffen wurden, entstanden in Zeilen- und Einfamilienhausbauweise verstärkt in den zuvor noch ländlich geprägten Stadtbezirken Hülsdonk und Vinn. Als in der näheren Umgebung komfortablere Häuser und Wohnungen gebaut wurden, verlor die Altstadt mit ihrem z.T. 300jährigen Gebäudebestand und ihren kleinen Parzellen hingegen mit der Zeit an Attraktivität. Dieser Umstand führte zusammen mit zunehmenden innerstädtischen Verkehrproblemen zu ersten Diskussionen über eine umfangreiche Stadtkernerneuerung. Mit der Erarbeitung eines Sanierungskonzeptes beauftragte Heinrich Hauschild den Essener Hochschullehrer Hans Mausbach. Dieser legte 1959 einen Plan zur Neuordnung der Moerser Innenstadt vor, der den radikalen Abriss fast des gesamten Stadtkerns vorschlug. Stattdessen sollten dort moderne Geschäftsviertel entstehen. Für Mausbach und Hauschild war damals das „Wohnen in der Innenstadt … überholt, eben bedingt durch die Entwicklung, die die Stadt genommen habe.“ Das Kernelement des Mausbach-Plans bildete eine Osttangente als neue Verbindung zwischen Uerdinger Straße und Unterwallstraße - im Übrigen in fast derselben Linienführung, wie sie bereits 1938 im Generalbebauungsplan vorgeschlagen wurde.

Insbesondere an dem „Für und Wider“ der neuen Verkehrsführung entzündeten sich heftige Diskussionen. Ohnehin war die Zusammenarbeit zwischen Bauamt und Rat am Ende der 50er Jahre von grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten getrübt. So wurde der Mausbach-Plan zwar vom Rat beschlossen, zu einer Umsetzung unter Baurat Hauschild kam es aber nicht mehr, da dieser nach 12 Jahren Dienst aus der Stadtverwaltung ausschied.

Die städtebaulichen Leitbilder der 60er / 70er Jahre und die „Umsteuerung“, „Autogerechte Stadt“, „Urbanität durch Dichte“, „Siedlungsschwerpunkte“, „Citybildung“ „Fortschritt“ und „Modernität“ waren die Schlagworte der 1960er und 70er Jahre, hinter denen sich die programmatische Abkehr von der traditionellen, gewachsenen Stadt verbarg. Eine überzogene Planungseuphorie und reines Ingenieurdenken (nach dem nächsten Produkt gilt das vorhergehende nichts mehr) führten zu einem neuen Umgang mit der gebauten Umwelt und schuf die „Wegwerf-Stadt“. Es war die Zeit des „Entwicklungsprogramms Ruhr 1968 - 1973“, in dem eine „stärkere Konzentration der Bebauung an geeigneten Standorten … und die Sanierung, Erneuerung und Korrektur nicht mehr funktionsgerechter Siedlungsteile“ als zukünftige Aufgaben formuliert wurde.

 

 

 

 

 

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