Die Städtebauliche Entwicklung der Stadt Moers im 20. Jahrhundert -3.Teil-
Thorsten Kamp
Die Unterordnung unter rationalistisch-funktionalistische Grundsätze gepaart mit dem Glauben an das Funktionieren von „Reißbrettplanungen“ hatte - neben umfangreichen Kahlschlägen in Altstadtquartieren und Arbeitersiedlungen - auch die Errichtung ganzer Musterstädte und neuer Stadtzentren zur Folge. Gerade im nördlichen Ruhrgebiet mit seinen polyzentral strukturierten Städten und Gemeinden gab es verschiedene Versuche zur Stadtmittebildung.
Das Wort „Zentrum“ fand in den 70er Jahren eine inflationäre Verwendung: Schul-, Sport-, Kultur-, Geschäftszentren entstanden aller Orten - vor allem auf der „grünen Wiese“. Auch die Entstehungsgeschichte des späteren „Rheinkamper Rings“ fällt in diese Epoche. So wollte die Stadtverwaltung der nördlich von Moers gelegenen damaligen Gemeinde Rheinkamp auf den bis dahin landwirtschaftlich genutzten Flächen zwischen den Ortsteilen Eick und Repelen ein multifunktionales Stadtzentrums schaffen, mit dem zusätzlich die Eigenständigkeit gegenüber der Stadt Moers verdeutlicht werden sollte. Für das neue Rheinkamper Einkaufs- und Dienstleistungszentrum war eine untere Ebene für den motorisierten Kunden- und Anlieferungsverkehr und eine obere Fußgängerebene mit Ladenstraße und Terrassencafés geplant. Da die ambitionierten Planungen für ein neues Rheinkamper Zentrum im Zuge der kommunalen Neugliederung 1975 obsolet wurden, sind sie 1980 endgültig aufgegeben worden. Bereits gebaut waren zu diesem Zeitpunkt die weiterführenden Schulen und das Sport- und Kulturzentrum Rheinkamp, sowie zwei Wohnsiedlungen mit mehrgeschossigen Zeilen- und Punkthäusern.
An den Stadträndern entstanden bundesweit Großsiedlungen, die durch stereotype, vielgeschossige Wohnanlagen gekennzeichnet und selten in die Gesamtstadt eingebunden waren. Doch nicht nur in den Außenbereichen, auch auf dem Gelände abgerissener Altstadtquartiere oder Arbeitersiedlungen (vgl. Rheinpreußensiedlung in Homberg-Hochheide) sorgte eine unmaßstäbliche Neubebauung für den Verlust von Identität, gewachsenen Nachbarschaften und funktionierenden Infrastruktureinrichtungen. Der Utopie der „autogerechten Stadt“ fielen ganze Straßenzüge zum Opfer. Vormals belebte städtische Plätze wurden zu Verkehrsknotenpunkten ausgebaut, so dass Fußgänger zugunsten eines ungehinderten Verkehrsflusses auf neu geschaffene Unterführungen oder Brücken ausweichen mussten.
Den städtebaulichen Visionen der 60er/70er Jahre stand die Vielfalt gewachsener städtischer Strukturen entgegen. Der Stadtkern, in der damaligen Planersprache modisch als „City“ apostrophiert, wurde zum „Einkaufs- und Erlebniszentrum“ in dem Wohnen und kleinteilige Gewerbe- und Handwerksbetriebe keinen Platz mehr hatten, mit dem Ergebnis, dass viele Innenstädte nach Ladenschluss verödeten.
Um die zeitgenössischen Leitbilder durchzusetzen, besaßen Politik und Planung mit Veränderungssperre und Vorkaufsrecht ein wirksames Instrumentarium, das häufig genutzt wurde, um Altstadt- oder Arbeiterquartiere weiter „runterzuruinieren“, um sie im Anschluss zu sanieren. Der Segregationsprozess in den Altstädten, der bereits in den 1950er Jahren mit dem Auszug finanziell besser gestellter Bewohner in die stadtnahen Neubaugebiete einsetzte, lieferte die Argumentationshilfen für anstehende Sanierungsmaßnahmen: „bauliche und hygienische Missstände“, „ungesunde Bevölkerungsstruktur“ oder „überalterte Stadtbereiche“ waren die häufig angeführten Begründungen für die Vernichtung sozialer und städtischer Strukturen.
Im Wortlaut des 1971 in Kraft getretenen Städtebauförderungsgesetzes waren Sanierungsmaßnahmen „Maßnahmen, durch die ein Gebiet zur Behebung städtebaulicher Mißstände, insbesondere durch Beseitigung baulicher Anlagen und Neubebauung oder durch Modernisierung von Gebäuden wesentlich verbessert oder umgestaltet [werden sollte].“ In der Praxis bedeutete dies den Abriss historischer Bausubstanz gefolgt von Baulandumlegung, bei der die zuvor meist kleinteilige Parzellierung aufgehoben und zu großen Grundstücken zusammengefasst wurde.
Von den Sanierungsmaßnahmen profitierten insbesondere Immobilienspekulanten, (Wohnungs)bauunternehmen (wie die „Neue Heimat“ oder das Homberger Bauunternehmen Kun), Kaufhausunternehmen (für die in Innenstadtlagen ausreichend Raum zur Expansion und zum Bau von Parkplätzen geschaffen wurde) sowie so mancher Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung, der aus seiner Zustimmung zu gewissen Bauprojekten finanzielle Vorteile ziehen konnte.
Wurde bereits Mitte der 60er Jahre vereinzelt der immense Verlust an Baukultur beklagt (Wolf Jobst Siedler, „Die gemordete Stadt“, 1964) so gerieten Anfang der 1970er Jahre die Sanierungs- und Neubaumaßnahmen immer heftiger in die Kritik: Bürgerinitiativen gründeten sich, um ihr Quartier oder ihre Arbeiterkolonie vor dem geplanten Abriss zu bewahren, Häuser wurden „instandbesetzt“ und die Qualität von Altbauvierteln wiederentdeckt, während sich die monofunktionalen Zweckbauten als Fehlinvestitionen mit hohen Fluktuationsraten erwiesen. Dass viele Neubauten der 1970er Jahre eine gestalterisch minimalistische, zum Teil auch grobschlächtige Betonarchitektur aufwiesen, stieß in der Öffentlichkeit zunehmend auf Ablehnung.
Als Reaktion kam es in vielen Städten zu einer Umsteuerung von der Flächen- zur Objektsanierung und spätestens nach dem europäischen Denkmalschutzjahr 1975 war „zeitgemäß wohnen in alten Häusern wieder 'in'“ (WAZ, 9.6.78). Auch die Stadtplanung durchlief einen Bewusstseinswandel: Glaubte man in den 1970er Jahren anhand komplexer Rechenmodelle die Zukunft einfach hochrechnen zu können, wobei man auf phantastische aber völlig unrealistische Bevölkerungsprognosen kam, so war spätestens mit der ersten Ölkrise 1973 die Zeit der Fortschrittsgläubigkeit in der Stadtplanung vorbei. In Nordrhein-Westfalen wurde nach der Landtagswahl 1980 erstmalig ein „Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr“ mit Christoph Zöpel als neuem Minister eingerichtet. Zusammen mit Karl Ganser, dem Leiter des Referates Städtebau, leitete er die Umsteuerung in der Stadtsanierung und Verkehrsplanung ein.
Für viele Altstädte kam diese Entwicklung zu spät und so manche Fehlplanung und Investitionsruine wurde auch noch in den folgenden Jahren geschaffen. Doch unter den Leitbildern der 80er Jahre, wie der „behutsamen Stadterneuerung“ und dem Wechsel von der kurzsichtigen Entwicklungsplanung zu einem neuen Planungsverständnis, das auf den Erhalt und den Ausbau vorhandener Potenziale setzte, wurde den großflächigen Abrissen in Innenstädten und Arbeitersiedlungen ein vorläufiges Ende gesetzt.
1960-1985 - Stadtsanierung in der Ära Heinz Oppers
Die ersten Stadtsanierungspläne des neuen Beigeordneten Oberbaurat Heinz Oppers knüpften an die Ideen an, die bereits von seinem Vorgänger Heinrich Hauschild entwickelt wurden, mit dem Unterschied, dass Oppers anfangs eine neue Osttangente ablehnte und den Verkehr lieber über verbreiterte vorhandene Straßen (Ostring, später Oberwallstraße) leiten wollte. Unstrittig war aber auch für ihn, dass der überwiegende Teil der Moerser Innenstadt neu geordnet werden sollte. 1961 beschloss der Rat der Stadt Moers die Aufstellung eines Bebauungsplanes sowie eine Veränderungssperre und ein kommunales Vorkaufsrecht für den nördlichen Teil der Altstadt. Der im Anschluss daran entstandene erste Sanierungsplan zeigte einen genau so rigorosen Umgang mit der gewachsenen Stadtstruktur und dem historischen Baubestand, wie der Mausbach-Plan drei Jahre zuvor. Zur Umsetzung der Sanierungsvorhaben stellte die Stadt Moers für den etwa 22 Hektar großen Bereich des Stadtkerns 1962 einen Gesamtbebauungsplan auf. In den folgenden zwei Jahren wurden Verhandlungen mit den übergeordneten Behörden (Regierungspräsident, Landeskonservator u.a.) über die Ziele und Finanzierung der Altstadtsanierung geführt.
Das Deilmann-Gutachten von 1965
Hochschulprofessor Harald Deilmann, bereits in jungen Jahren Schöpfer des Stadttheaters in seiner Heimatstadt Münster, sollte, nachdem er 1962 den „Großer Preis für Baukunst“ erhalten hatte, als Anerkennung des Landes Nordrhein-Westfalen einen öffentlichen Auftrag erhalten. Da die Themen „Stadtsanierung“ und „Stadterneuerung“ landesweit auf der Agenda standen und die Kontroversen, die die geplanten Maßnahmen in der Bevölkerung hervorriefen, in Moers besonders lebhaft ausgetragen wurden, wurde Prof. Deilmann vom Land NRW beauftragt, die Moerser Sanierungspläne zu analysieren und gegebenenfalls Alternativvorschläge zu entwickeln. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Karl-Friedrich Gehse machte er sich im Dezember 1964 an die Arbeit, wobei sich - laut Herrn Gehse - die Kooperation mit der Stadt Moers schwierig gestaltete: Während es mit den Stadtsanierungskritikern um die Museumsleiterin Helene Middelhoff einen regen Austausch gab, war hingegen das Baudezernat unter dem ersten Beigeordneten Oppers, der die Gutachter schließlich nicht um ihre Meinung gebeten hatte, an einer Zusammenarbeit nicht sonderlich interessiert. Notwendige Informationen und Unterlagen mussten an anderer Stelle eingeholt werden.
Nachdem das Gutachten Deilmanns in einer Bearbeitungszeit von nur drei Monaten erstellt worden war, sollte es zusammen mit einer „wirtschaftlich-soziologischen Strukturuntersuchung“ des Soziologie-Professors Boesler am 15. März 1962 im Moerser Rat vorgestellt werden. Mit Spannung wurde der Abend nicht nur von der Politik und Bürgerschaft erwartet, sondern auch von der Stadtverwaltung, denen der Inhalt des Gutachtens erst seit wenigen Tagen in Form eines Vorabzuges vorlag. Daher war intern bekannt, dass Deilmann im Unterschied zu Oppers den überwiegenden Teil der historischen Bebauung bewahren wollte. Eine Isometrie, gezeichnet vom Architekten Gehse, die sehr plastisch darstellte wie sich Alt- und Neubebauung zukünftig ergänzen sollte, lag dem Vorabzug bei. Als Reaktion darauf wurde von Seiten der Verwaltung kurzfristig ein Vogelschaubild angefertigt, das die Ideen der Moerser Stadtplanung veranschaulichte und schon vor dem Deilmann-Gutachten in der Presse veröffentlicht wurde.
Der Entwurf des Moerser Stadtplanungsamtes sah zur Schaffung einer südlichen Stadtkernumfahrung die Niederlegung der Haagstraßen-Bebauung zwischen Kastell und Fieselstraße einschließlich des „Bügeleisens“ vor. Des Weiteren sollte anstelle des ältesten Teils der Altstadt an der Friedrich- und Pfefferstraße ein modernes „Regionalzentrum“ entstehen und die Randbebauung am Neumarkt zugunsten großmaßstäblicher Geschäftshäuser abgerissen werden. Weitere Komplettabbrüche waren an der Burg- und Oberwallstraße sowie der Fieselstraße (inkl. Klompenwenkel) geplant, lediglich Stein-, Kirch- und Neustraße wären weitestgehend verschont geblieben. Deilmanns Architekturbüro hingegen hatte zwar auch zusätzliche Straßendurchbrüche und Neubauten geplant. Diese sollten allerdings so angelegt werden, dass historisch wertvolle Bausubstanz wie das „Bügeleisen“, der größte Teil der Altstadt oder die Neustadt mit ihrer kleinteiligen Bebauung auf der Fiesel-, Haag- und Niederstraße hätten erhalten bleiben können.
Zum Umgang mit dem Moerser Stadtbild hieß es im Deilmann-Gutachten: „Ein glückliches Geschick hat die Innenstadt in den letzten 200 Jahren vor Zerstörung und sinnlosen Entstellungen bewahrt, so daß Moers heute noch in seinem Kernbereich eine historisch wertvolle Situation bildet. ... Obgleich die einzelnen Gebäude zum Teil verbraucht und sanierungsbedürftig sind und keinen besonderen Einzelwert besitzen, dokumentiert sich aber in ihrem erhaltenen Zusammenhang ein Stadtbild, welches typisch für seine Entstehungszeit ist und zu den besterhaltenen des Niederrheins gehört. ... Ein Vergleich zwischen der Baubestandskarte und dem Sanierungsplan [des Planungsamtes] macht eine außergewöhnlich starke „Auslichtung“ des Innenstadtbereichs augenfällig. ... Durch die Vernichtung des kleinen Maßstabs der überlieferten baulichen Substanz, durch die schematische Zusammenfassung ganzer Baublocks und die stellenweise zu starke Auslichtung des Bestandes, wird die Stadt vieles von ihrem Charme einbüssen.“
Deilmanns Sanierungsvorschläge fanden viel Beifall in Bürgerschaft, Politik und Presse („Moers soll seinen alten Charme behalten“, „Vision einer neuen Stadt: Alt und neu glücklich verbunden“). Die Rheinische Post schrieb zusammenfassend über das Gutachten: „Ein Vorteil dieser Lösung: es müßten in summa weniger Häuser abgerissen werden, als beim Vorschlag Oppers. Überhaupt zeichnet sich das Gutachten des Professors dadurch aus, daß auf den vorhandenen Bestand weitmöglichst Rücksicht genommen wird. Auch nach Deilmann muss viel entfernt werden, doch muten seine Vorschläge auf eine „Durchlichtung“ der Stadt im ganzen weniger radikal als die des Beigeordneten Oppers an“ (RP, 17.03.65).
Auch bundesweit erntete das Deilmann-Gutachten Anerkennung und wurde Vorbild für so manche gelungene Stadterneuerungsmaßnahme der 1970er Jahre (z.B. Herdecke, Lemgo, Warendorf). Selbst Baurat Hans Mausbach, der noch wenige Jahre zuvor den Abriss der Moerser Altsstadt empfohlen hatte, schien seine Meinung in Sanierungsfragen komplett geändert zu haben. Mausbach nahm das Gutachten für Moers in sein Lehrbuch „Städtebaukunde der Gegenwart“ von 1966 auf, als „Beispiel einer Altstadterneuerung für eine mittelgroße Stadt“ und schrieb: „Kein ‚Freilichtmuseum', sondern ein Gebilde, das Vergangenheit und Gegenwart umfaßt. Ein Weg, der die Mitte findet zwischen einer Totalsanierung und der getreuen Erhaltung: Die schöpferische Regeneration.“
Im krassen Gegensatz zu der Beachtung, die das Gutachten außerhalb der Stadtgrenzen fand, stand der Umgang der Moerser Verwaltung mit den Vorschlägen des Büros Deilmann: Nach der Vorstellung im Rat wurde von Seiten der Stadt kein Kontakt zu Prof. Deilmann gesucht. Eine weitere Beauftragung, um die skizzenhaft erarbeiteten Ideen zu konkretisieren, erfolgte nicht. Letztlich sind mit Ausnahme der Häuser entlang der Fieselstraße später dann doch die Teile des Stadtkerns abgerissen worden, die im Schaubild der Moerser Stadtplanung bereits dafür vorgesehen waren. Kritiker der Stadtsanierung, wie die Museumsleiterin Helene Middelhoff, konnten sich mit ihrer Forderung, die originale Bausubstanz der Altstadt zu erhalten und zu restaurieren, dagegen nicht durchsetzten.
Die heiße Phase der Stadtsanierung ab dem Ende der 1960er Jahre
Der großflächige Abriss von Altstadtquartieren zugunsten von Parkplätzen und projektierten Straßen begann gegen Ende der 60er Jahre. Dabei wurde das komplette Viertel zwischen Nieder- und Unterwallstraße, das durch die oranische Stadterweiterung entstanden war, dem Erdboden gleich gemacht und die Bewohner u.a. nach Hülsdonk umgesiedelt. Unter den abgebrochenen Gebäuden befand sich auch das so genannte „Dreigiebelhaus“, in dem von 1899 bis 1932 die Schule der jüdischen Gemeinde von Moers untergebracht war.
Der umstrittene Abbruch des Altstadtquartiers „Bügeleisens“ fand 1969 satt. Später wurde diese Fläche mit den Grundstücken der evangelischen und der katholischen Kastellschule, die 1973 in einer „Nacht- und Nebelaktion“ (WAZ 17.12.77) abgerissen worden war, zu einer großen Parkplatzanlage - dem „Kastellplatz“ - zusammengefasst, ursprünglich eine Planung aus dem Jahr 1939. Dass der Generalbebauungsplan in der Stadtverwaltung auch noch zu Oppers' Zeiten benutzt wurde, belegt ein Kalenderblatt vom Mai 1969, das im diesem Planwerk als Lesezeichen Verwendung fand.
Den Abriss des „Bügeleisens“ kann man als Vorbereitung auf den geplanten Bau der später nicht realisierten Südtangente verstehen. Eine weitere vorbereitende Maßnahme zum Bau dieser Umgehungsstraße war die Neuordnung des Quartiers zwischen Haagstraße und der Straße „Im Rosenthal“. Bis auf eine geschützte Renaissancegebäudegruppe wurden alle Gebäude auf der Südseite der Haagstraße entfernt; dazu zählte auch die „alte Sozietät“ von 1788, von der aus das gesellschaftliche Leben der Stadt wichtige Impulse erhalten hatte. An dieser Stelle wurde 1977 - losgelöst von der historischen Straßenführung - das „Haus am Park“ errichtet.
Der Verkehrsflächenrahmenplan von 1969 schuf die Grundlage zum Bau vierspuriger Altstadttangenten und die Umstrukturierung der Altstadt. Bereits in den 50er Jahren hatte die Stadtplanung mit dem Ausbau der Unterwallstraße zur Nordtangente den Grundstein für die weitere Verkehrsentwicklung gelegt, in deren Verlauf man den Autoverkehr in die Kernstadt hinein holte, anstatt ihn weiträumig um die Wälle herum zuleiten (wie zum Beispiel in Kempen). Durch den innerstädtischen Straßenbau wurde der Verlauf der historischen Wall- und Grabenanlage empfindlich gestört, z. T. auch zerstört, vor allem beim Bau der Osttangente („Neuer Wall“) 1969. Dabei ist die Fläche eines ehemaligen Ravelins vollständig durch ein Parkdeck ersetzt und der Stadtgraben zu einer einbetonierten Wasserfläche („Königssee“) umgebaut worden. Beim Ausbau der Kreuzung im Westen (Krefelder/ Unterwallstr.) wurde ein großer Teil des dortigen Walls abgetragen. Die Wallpromenade, die zuvor vollständig den Stadtkern umgab, wurde durch den Bau überdimensionierter Straßenkreuzungen und den Ausbau des Königlichen Hofes zum Busbahnhof in Abschnitte zerstückelt.
1974 entstand im Osten der Altstadt als erstes Großprojekt das „Wallzentrum“, für dessen Bau die gesamte östliche Oberwallstraßenbebauung samt den dahinter liegenden Gartengrundstücken einplaniert wurde. Über das Ergebnis schrieb die WAZ 1977: „Sogar die Moerser Ratsherren waren zuerst begeistert und dann schockiert. Als sie das Wallzentrum im Modell sahen, fanden sie es schick, vor der steinernen Wirklichkeit erschraken sie später - der Blick aus der Vogelperspektive auf das Modell hätte sie getäuscht.“
Auf den Parzellen zwischen Neumarkt und Kirchstraße, die im Frühjahr 1977 leergeräumt wurden, eröffneten bereits Ende des gleichen Jahres zwei großflächige Einzelhandelsgeschäfte, bei deren Fassadengestaltung an der Kirchstraße versucht wurde, sich durch Zwerchgiebel der historischen Bebauung anzupassen, während die Neumarktseite in monotoner, die Horizontale betonende Sichtbetonbauweise ausgeführt wurde. Auf der gegenüberliegenden Brachfläche am Neumarkt, auf der früher u. a. das Dreigiebelhaus gestanden hatte und die zwischenzeitlich als Standort für „C&A“ und später für eine Stadthalle gehandelt wurde, entstand 1978 der „Kauftreff“, ein bunkerähnlicher Baukörper mit Einzelhandelsgeschäften und einem Parkhaus für 300 Fahrzeuge, das mit einer Stahlbrücke über die Niederstraße an das benachbarte „Modecenter Braun“ angebunden wurde. Das Bekleidungsgeschäft der Fa. Braun expandierte so sehr, dass sämtliche benachbarten Grundstücke von ihr sukzessive aufgekauft und großmaßstäblich bebaut wurden. Durch die geschilderten Bauprojekte verwandelte sich der alte Neumarkt mit seiner niedrigen und abwechslungsreichen Randbebauung zu einem von 5-6-geschossigen Baukörpern umgebenden Parkplatz. Es wird diese Art der Neubebauung gewesen sein, über die der Moerser Stadtarchivar Brinkmann bereits 1978 schrieb, dass „leider … das heutige Stadtbild an einigen Stellen von schmucklosen Betonbauten beherrscht [wird].“
Parallel mit der Umgestaltung des Neumarktes trat die Altstadtsanierung mit dem Abriss der Friedrich-, Kirch- und Pfefferstraße in die entscheidende Phase ein. Dieser Bereich mit seiner mittelalterlichen Straßenführung, der kleinteiligen Struktur und einem Gebäudebestand, der überwiegend aus dem 17. Jahrhundert stammte, war seit dem Inkrafttreten der Veränderungssperre 1961 stark verwahrlost. Die meisten Eigentümer unterließen notwendige Instandsetzungsarbeiten und Reparaturen, da sie über die Zukunft ihrer Häuser im Unklaren gelassen wurden. Die Folge waren Leerstand und fortschreitender Verfall der Bausubstanz. Im Frühjahr 1977 begann der „Ruinenabbruch“ (WAZ 22.4.78) gefolgt von einer Neuordnung der mittelalterlichen Parzellenstruktur.
Der allgemeinen gesellschaftlichen Tendenz nach 1975 - dem „Internationalen Jahr des Denkmalschutzes“ - folgend, erfreute sich die historische Moerser Altstadt mit ihrer anheimelnden Kleinteiligkeit wieder einer neuer Akzeptanz. Für die stark vernachlässigten Gebäude kam dieser Zuspruch jedoch zu spät, so dass auf einer veränderten Parzellenstruktur eine „neue Altstadt“ aufgebaut wurde. Grundlage des Wiederaufbaus war ein Gestaltungsgutachten des Düsseldorfer Professors Helmut Hentrich, dessen Architekturbüro HPP den Bau des angrenzenden Wallzentrums zu verantworten hatte. Für den Altstadtkern entwarf der ehemalige Vertrauensarchitekt der HJ und Organisation Todt im Stil des Heimatschutzes eine 2-geschossige Neubebauung mit historisierenden Fassaden und „niederrheintypischen“ Sattel-, Krüppelwalm- und Mansarddächern. Von den ehemals etwa 40 Häusern entlang der Friedrichstraße blieben lediglich vier Fassaden erhalten, um sie als Kulissen in das „Neubauprojekt Altstadt“ zu integrieren. Zu den 1977 abgerissenen Gebäuden gehörte auch die ehemalige Synagoge von Moers, die nach der Deportation der jüdischen Gemeinde zu einem Wohnhaus umgebaut worden war. Sie stand nicht an der Stelle, wo seit 1987 als Mahnmal eine Kopie des Sandstein-Eingangsbogen der Synagoge steht, sondern in etwa dort, wo die Pfefferstraße bis zur Oberwallstraße durchgezogen und ein neuer Schmuckplatz angelegt worden ist. Es wurde sogar ernsthaft erwogen, an diesem neu geschaffenen Eingang zur Altstadt eine verkleinerte Kopie des „Mattorns“ zu errichten - an einer Stelle an der nie ein Stadttor gestanden hatte. Diese Idee steht stellvertretend für einen verfehlten Umgang mit der Stadtgeschichte, aus der man sich selektiv und zum Teil verfälschend bediente. Zur „Wiederauferstehung der Moerser Pfeffer- und Friedrichstraße“ schrieb die WAZ vom 29. Juli 1977: „Nachdem die Kirchstraße einigermaßen den alten Charakter zurückbekommen hat, wird die Nostalgie im Bereich Pfeffer-/ Friedrichstraße noch deutlicher zutage treten.“ Statt Authentizität war Nostalgie gefragt, ein Wunsch dem die scheinbar historische Neubebauung der Altstadt entsprach und dessen treibende Kraft Stadtdirektor Oppers wurde. Er versprach: „Die alte Atmosphäre von Anno dazumal kommt bestimmt wieder“ (WAZ, 29.7.77).
Es war eine widersprüchliche Zeit, in der einerseits „alt und überkommen“ ein Synonym für „unmodern und kostspielig“ war und damit für nicht erhaltenswert, andererseits aber Publikationen zur Moerser Stadtgeschichte (darunter auch viele Wiederauflagen des Steigerverlages aus den 1920er Jahren) in einem Umfang auf den Markt kamen, der nie wieder erreicht wurde. Es war ebenso die Zeit, in der die Stadt Moers die am Stadtgraben gelegene Gerberei Bremer aus dem 19. Jahrhundert an das Freilichtmuseum in Grefrath verschenkte und kurze Zeit später eine Wassermühle am Moersbach aufbaute, die zuvor in der Umgebung (Bestendonksmühle, Niep) demontiert worden war.
Als mit der Einrichtung des Städtebauministeriums 1980 auch das Denkmalschutzgesetz NRW in Kraft trat, war die Altstadtsanierung in Moers bereits abgeschlossen. In den folgenden Jahren wurden nur noch wenige schutzwürdige Gebäude abgerissen, darunter die letzten „Spitzwegmotive in der Moerser Altstadt“ (WAZ, 27.1.79) an der Friedrich-/Oberwallstraße, „die als Restbestand der Moerser Altstadt [hätten] gelten können.“
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im Zuge der Stadtsanierung gut zwei Drittel der historischen Bausubstanz abgerissen worden sind, ein Verlust an Gebäuden, der in der Stadtgeschichte nur mit dem verheerenden Stadtbrand von 1605 zu vergleichen ist. Mit dem Altstadtumbau ging auch die Zerstörung archäologischer Zeugnisse einher, die Rückschlüsse über die Entwicklung der Stadt und ihrer früheren Bewohner hätten geben können. Bei den Ausschachtungsarbeiten, die zum Teil zwei Geschosse tief in den Boden eingriffen, wurde keinerlei Rücksicht auf vorhandene Bodendenkmäler - auf deren Erhalt oder Dokumentation - genommen. So verschwanden u.a. die Reste der mittelalterlichen Stadtmauer unter den Baggerschaufeln, ohne dass die Stadt Moers oder das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege tätig wurden. Lediglich dem engagierten Hülsdonker Heimatforscher Hans Deden, der abends und an den Wochenenden in den Baugruben Fundamente freilegte und dokumentierte, ist es zu verdanken, dass wichtige Informationen über die stadtgeschichtliche Entwicklung nicht gänzlich verloren gingen.
Der renommierte Kunsthistoriker Prof. Roland Günter schrieb 1994 über die Stadtentwicklung der 70er Jahre in Moers als Resümee: „Die Stadtsanierung der 60er/70er Jahre zerstörte in kurzer Zeit, was Jahrhunderte schufen. Die Bereiche, die nach der Umsteuerung 1981 gerettet wurden, sind ein Stadt-Erlebnis - und zugleich als Kontrast ein ständiger Vorwurf an die zerstörenden Schöpfer von Nichtigkeiten.“
Epilog -
„Zukunft braucht Herkunft“
Die Entwicklungsgeschichte der Stadt Moers scheint einem Städtebau-Lehrbuch entsprungen zu sein. Hier finden sich geradezu idealtypisch die verschiedenen Epochen der Stadtentwicklung wieder - von der mittelalterlichen Gründung zur industriell bedingten Stadterweiterung ab 1900, von der ländlich geprägten Siedlung Meerbeck zur geplanten multifunktionalen Stadtmitte von Rheinkamp. Die Stadtplanung als Spiegelbild ihrer Zeit wandelte sich ebenso über die Jahrzehnte: Vom Anknüpfen an regionale Bautraditionen um 1910 über die ebenso manipulierenden wie modernisierenden Vorhaben der NS-Zeit hin zu einer erst zerstörerischen und später behutsamen Stadterneuerung. Kam auch die Umsteuerung in der Sanierungspolitik ab 1980 für den größten Teil der Moerser Altstadt zu spät, so darf in diesem Zusammenhang eine stadtentwicklungspolitische Großtat aus dieser Zeit nicht unerwähnt bleiben: Durch den Verzicht auf den Bau einer Stadthalle und den Erwerb der bedrohten Siedlung Meerbeck, wurde eine der größten Arbeiterkolonien des Landes gerettet - somit blieb das bedeutende Baudenkmal samt günstigem Wohnraum auch gegen den allgemeinen Privatisierungstrend bis heute erhalten.
Mittlerweile erleben wir einen erneuten Epochenwechsel: das Ende der auf stetiges Wachstum ausgerichteten Industriegesellschaft. Seit den 1990er Jahren verlässt die Schwer- und Massengüterindustrie die so genannte Erste Welt. Die Bevölkerungsentwicklung Deutschlands und insbesondere des Ruhrgebiets stagniert bzw. ist rückläufig - ein Trend der sich durch den demografischen Wandel weiter verstärken wird. Ein umfassender ökonomischer und sozialer Strukturwandel trifft unser heutiges Stadtmodell, das sich in den letzten 200 Jahren herausgebildet hatte: die unbegrenzt wachsende, zonierte Stadt der industriellen Revolution. Die Schrumpfung der Bevölkerung und die verbesserte Arbeits- und Flächenproduktivität einer Wissensgesellschaft bedeuten aber auch das Ende des Flächenfraßes an den Stadträndern und bieten große Chancen für eine Renaissance der Innenstädte. Im Konkurrenzkampf der Kommunen um Einwohner und Unternehmen wird die Bedeutung weicher Standortfaktoren wie Kultur, Wohn-, Freizeit-, Bildungs- oder Umweltqualität weiter zunehmen. Die Herausforderungen sind angesichts sinkender Steuereinnahmen, bei gleichzeitig explodierenden Sozialausgaben, enorm: Während die finanzielle Situation die Handlungsfähigkeit der Städte lahm legt und damit die kommunale Selbstverwaltung bedroht, müssten sie sich eigentlich neu aufstellen und den geänderten Rahmenbedingungen anpassen.
In einer Zeit der Veränderung und Ungewissheit ist Geschichte die einzige Konstante. Sie kann der Stadtpolitik und -planung helfen sich zu orientieren und begangene Fehler nicht zu wiederholen. Bei der zukünftigen Stadtentwicklung spielt sie daher eine wesentliche Rolle. Die Geschichte wirkt bis in die Gegenwart der Stadt, bestimmt maßgeblich ihren Charakter und ist ablesbar an den Plätzen und Bauwerken vergangener Epochen. Die daraus entstandene Stadtgestalt bildet die Grundlage zur Identifikation der Einwohner mit ihrer Stadt. Die vertrauten Eigenheiten und Merkmale bieten sowohl der eigenen Bevölkerung als auch Auswärtigen Orientierung und Sicherheit. Planungen, die diese Tatsache ignorieren und stattdessen versuchen, etwas völlig Neues zu erfinden, sind zum Scheitern verurteilt. Die Erfahrung zeigt, dass dies nicht tragfähig ist. Eine Stadt wehrt sich gegen solche Eingriffe, oder sie verliert ihre Individualität und damit Attraktivität. Neben der Bewahrung des kulturellen Erbes müssen allerdings ebenso neue Entwicklungen möglich sein. Respekt vor der Vergangenheit heißt nicht ihr zu verfallen. Neubauten sollten als zukünftiges Zeugnis der heutigen Zeit nicht in unverhältnismäßiger Nostalgie Vergangenes imitieren, sondern das vorgefundene Stadtbild qualitätvoll ergänzen.
Der vorliegende Beitrag zeigt, dass auch die angeblichen Ingenieurswissenschaften Stadtplanung und Städtebau, von der Architektur ganz zu schweigen, wechselnden, manchmal nur kurzlebigen Modetrends unterworfen sind. Im Unterschied zu Fehlentscheidungen in anderen Bereichen des Alltags, lassen sich gebaute Modetorheiten aber nicht einfach in der Altkleidersammlung entsorgen, auch wenn man ihrer längst überdrüssig geworden ist. Was heute gebaut wird, bestimmt das Stadtbild der nächsten Jahrzehnte - im Guten, wie im Schlechten.
Gerade unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit und des Ressourcenschutzes sollte für zukünftige Baumaßnahmen der Grundsatz gelten, immer mit hoher Baukultur zu bauen. Dies beinhaltet u.a. die Verwendung qualitativ hochwertiger Materialien, die auch den Besonderheiten des Stadtbildes entsprechen sollten; die Langlebigkeit und Flexibilität von Gebäuden („Drittverwertbarkeit“) einzuplanen, anstatt in Abschreibungsfristen zu denken und zu guter Letzt eine Formensprache und Gestaltung zu wählen, die vor der Zukunft auch langfristig Bestand hat („zeitlos“ statt „zeitgeistig“).
Im Sinne der europäischen Stadt mit ihrer traditionellen Parzellenstruktur sollte das Augenmerk wieder verstärkt auf kleinteilige, anpassungsfähige Einheiten gelegt werden, die auf sich stetig verändernde Rahmenbedingungen (z.B. beim Einkaufsverhalten oder bei der Mobilität) besser reagieren können. Je größer und in der Nutzung eingeschränkt neu geschaffene Strukturen sind, umso schwieriger wird es sein, diese bei Funktionsverlusten zu revitalisieren oder zu entfernen. Daher bleibt zu wünschen, dass sich die kommerziellen Hoffnungsträger der heutigen Zeit nicht ebenso schnell entzaubern, wie die damaligen nach neuesten Gesichtspunkten entwickelten Einkaufsparadiese der 1970er Jahre (Wallzentrum, Kauftreff/Neumarkteck oder Horten). Die Erkenntnis, dass die Stadtentwicklung niemals stehen bleiben wird, auch wenn man als Stadtplaner glaubt, eine endgültige Ordnung geschaffen zu haben, sollte durch den Vortrag vom 21.10.2009 untermauert werden.
In der lebhaften Diskussion im Anschluss an den Vortrag wurde nachgefragt, ob Fehlplanungen gerade der 1970er Jahre rückgängig oder gar ungeschehen gemacht werden können und welche Lehren aus der Moerser Städtebaugeschichte zu ziehen seien. Dazu ist zu sagen: Was verloren ist, ist verloren. Der Einbruch der maßstabssprengenden Betonmoderne in die vormals kleinteilige Parzellenstruktur des Stadtkerns ist nicht umkehrbar, höchstens lässt sich die eine oder andere banale Fassadengestaltung verbessern. Wichtig ist es aber, nicht an die Fehlentwicklungen der 1970er Jahre anzuknüpfen, sondern sich auf die ureigenen Qualitäten der Moerser Innenstadt zu besinnen. Gerade weil die Unverwechselbarkeit der alten Grafenstadt durch Bau- und Sanierungsmaßnahmen der Vergangenheit gelitten hat, sollten die erhaltenen identitätsstiftenden Reste gesichert und entstandene Schäden - soweit möglich - im Sinne einer „Stadtreparatur“ behoben werden. Zu den wichtigsten Langfristaufgaben gehören daher die Erhaltung und Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses sowie der Wallanlagen auf Grundlage des „Parkpflegewerks“ von 1993. Hier muss die Devise lauten, die geschichtlich überkommende Stadtstruktur als gebautes Gedächtnis der Stadt nicht neu zu interpretieren, sondern Vorhandenes zu ergänzen, um Geschichte wieder sichtbar und erlebbar machen. Ein respektvoller Gebrauch der Stadtgeschichte bedeutet aber auch, historische Ortsnamen nicht fälschlich oder nach Belieben zu verwenden - wie jüngst mit dem Begriff „Nepix-Kull“ geschehen.
Durch die gezielte Bewahrung und Weiterentwicklung des kulturhistorischen Erbes wird es Moers vermeiden, im Vergleich zu den umliegenden Innenstädten zunehmend beliebig und austauschbar zu werden. Das „moersKonzept I masterplan innenstadt“ von 2006 bietet die richtigen Ansätze damit der Moerser Stadtkern als Einkaufs- und Wohnstandort eigenständig und unverwechselbar bleibt. Bei der Realisierung der einzelnen Bausteine wird es darauf ankommen, besonders viel Wert auf Qualität, Maßstäblichkeit und Einpassungsvermögen zu legen - gerade in stadträumlich hochsensiblen Bereichen wie im Verlauf der Wallanlagen oder am Schlosspark. In diesem Zusammenhang möchte ich mit einem Appell von Helene Middelhoff aus dem Jahr 1965 enden, der auch heute nichts von seiner Gültigkeit verloren hat:
„Die Amerikanisierung unserer Städte ist längst nicht mehr aktuell. Dafür ist heute schon die Trauer um manch verlorengegangene Architektur so groß, daß man sich hüten soll, mutwillig oder leichtfertig verfallen zu lassen, was mit sorgsamer Arbeit erhalten oder verbessert werden kann. Neue Einkaufszentren entstehen überall - nach gleichem Schnitt. Aber eine Stadt, deren Herz noch die lebensfähigen Spuren vieler Epochen trägt, die muß man nach ihren ureigensten Möglichkeiten formen und ihr den Stil wiedergeben, den sie uns mit ihrer Linie vorschreibt.“